01.09.2021
Andacht Herbst 2021

Maria?!

Als ich ein Kind war wollte ich beim Krippenspiel immer Maria sein. Leider ist dieser Wunsch nie in Erfüllung gegangen. Maria hatte zu wenig Text und ich war zu gut im Auswendiglernen. Also bekam ich immer irgendwelche anderen Rollen, die zwar mehr zu sagen hatten, aber eben nicht Maria waren. Warum hat Maria eigentlich nichts zu sagen?

Ein Blick in die Bibel zeigt, dass das so gar nicht stimmt. Kurz nachdem Maria vom Engel erfahren hat, dass sie Gottes Sohn zur Welt bringen soll, besucht sie ihre Cousine Elisabeth. Dort beginnt sie, Gott zu loben. Heute kennen wir diesen Lobgesang als das Magnifikat. Das Magnifikat ist eine Hymne auf Gott, über Marias eigenes Schicksal und Ausdruck ihres Vertrauens, dass Gott in diese Welt eingreift und Ungerechtigkeit zu Gerechtigkeit verwandelt:

Gott hebt seinen starken Arm
und fegt die Überheblichen hinweg.
Er stürzt die Machthaber vom Thron
und hebt die Unbedeutenden empor.
Er füllt den Hungernden
die Hände mit guten Gaben
und schickt die Reichen mit leeren Händen fort.

Lukas 1,51-53

Auch schon damals sprachen die politischen Realitäten gegen diese Vertrauensaussagen, die Maria hier einfach so feststellt. Die Welt um sie herum war nicht davon geprägt, dass Unbedeutende Bedeutung bekommen hätten. Ganz im Gegenteil war Maria als Frau, die einem von den Römern besetzten Volk angehörte, eine Unbedeutende, die das auch blieb. Trotzdem haben diese Worte die Zeiten überdauert.

Wie würde das denn aussehen, wenn Unbedeutende zu Machthabern werden? Würde es womöglich bedeuten, dass sich eigentlich gar nichts ändert, weil die Ungerechtigkeiten nun von den ehemals Unterdrückten begangen werden?

Wie sieht denn Gerechtigkeit aus?

Ich glaube ja, dass Gerechtigkeit überall da entsteht, wo ich anfange Solidarität zu üben. Egal, ob ich daraus einen Gewinn für mich ziehe oder nicht. Gerechtigkeit heißt, dass ich nicht frage, was ich davon habe, sondern mein Gegenüber frage, was er oder sie braucht. Von Maria wissen wir zu wenig, um ihre Fürsorge für andere belegen zu können. Aber ich traue es ihr zu, denn sie hat schließlich Jesus nicht nur zur Welt gebracht, sondern auch erzogen. Und Jesus hat uns vorgemacht, wie man andere ernst nimmt in ihrer Situation und ihrer Sehnsucht. Maria hat sich eingemischt und über mehr als ihr eigenes Schicksal Gedanken gemacht. Sie hatte ihre Gesellschaft im Blick.

Deswegen passt eine Andacht über sie auch in einen Gemeindebrief, der nicht in der Weihnachtszeit erscheint. Maria fordert uns auf, uns einzumischen - zum Beispiel, wenn bald wieder entschieden wird, wer in unserem Land Macht bekommen soll und wer besser nicht.

Anna Böck

(Bild: Maria und Elisabeth, Fresco im Kloster Matris Domini, Bergamo - Quelle: Wikipedia)